Donnerstag, 5. September 2019

Throwback five years

Wenn ich so zurückblicke und mir die letzten fünf Jahre durch den Kopf gehen lasse, kommt es mir so vor, als wären diese Jahre die intensivsten im meinem ganzen Leben gewesen. In den ersten dreißig Lebensjahren ist zwar mindestens genau so viel passiert, wohlmöglich mehr, aber vom Gefühl her war diese ganz spezielle Phase im meinem Leben, das Schwierigste und Emotionalste, was ich je erlebt habe und es immer noch - manchmal - durchlebe.

Vorweggenommen kann ich schonmal sagen, dass ich extrem glücklich und froh bin, trotz der dunklen Zeiten immer noch da zu sein! Diese Erkenntnis springt in letzter Zeit immer wieder und immer mehr in meinen Gedanken auf und ab und erfüllt mich zum Einen mit einer gewissen Art von Stolz aber auch der Zuversicht, dass es immer weitergehen kann, wenn man möchte.

Im Sommer vor fünf Jahren, 2014, das Weltmeisterjahr unserer Mannschaft, kam bei mir persönlich ein ganzer Schwung an persönlichen, körperlichen und mentalen Tiefschlägen zusammen. Angefangen hat es damals mit einem Spontanpneumotorax, einem Lungenriss, der mich für zehn Tage ins Krankenhaus gebracht hat. Zum dem Lungenriss sei gesagt, wenn es passiert, merkt man erstmal nichts davon. Ich war auf der Arbeit, damals noch im Büro, ahnte nichts Böses und irgendwann kamen Schmerzen wie aus dem Nichts, die ich zuerst als Muskelverspannung, Zerrung oder Ähnliches abtat. Es fühlte sich an, wie eine Art Muskelkater, der vom linken, oberen Rückenbereich strahlte. Mit dem Tagesfortschritt wurde es irgendwie nicht besser und ich hatte die lustige Idee, damit mal zu einem Arzt zu gehen, da es immer intensiver wurde und im Laufe des Mittages die Luft zum Atmen immer schwieriger wurde. Gesagt, getan. Erster Arzt: keine Zeit. Zweiter Arzt: kein Bedarf. Dritter Arzt: kein Interesse. Mittlerweile Nachmittags, vierter Arzt: check. Abgehorcht, "...ich höre keine Lungenaktivität mehr, begeben sie sich umgehend ins Krankenhaus"... okay...

Schnell war klar, dass wenn diese Ärztin sich mir nicht angenommen hätte, ich weiter lustig durch das Loch in der Lunge in mich hineingeatmet hätte und nunja...irgendwann hätte sich eine Luftblase im Torso gebildet, an der ich erstickt wäre. Das Krankenhaus regelte die Dinge aber zum Glück umgehend, schnitt mich auf, klammerte meinen linken Lungenflügel, einen Tag auf der Intensivstation und verordnete dann mindestens zehn Tage Aufenthalt inklusive Schläuche im Brustkorb. Super Timing: die WM war im vollen Gange und im Endeffekt sah ich das Finale im Krankenbett auf dem Zimmer über einen kleinen, eher unmodernen Monitor. Draußen feierten alle den Sieg, das Tor und dann liegt man da. Ganz toll. Ich hab mich trotzdem über den Tite gefreut.

Zu der Lungenthematik gesellte sich in dieser Zeit zudem das Auseinanderfallen meiner damaligen Band in Krefeld. Ich wohnte schon etwas länger in Gladbach, dennoch gab es immer noch Proben und ein bisschen Musik...aber es war da schon auf dem absteigenden Ast, was das Gefüge anging. Ein paar Wochen später haben wir uns dann von einander getrennt. Von den Jungs war nicht Einer zu Besuch im Krankenhaus. Es war schade, traurig und frustrierend, zu merken, dass es da nicht mehr weiter gehen würde. Immerhin hatte ich noch den Halt in meiner damaligen Beziehung...dachte ich.

Während des Aufenthaltes im Krankenhaus war sie zwar noch recht häufig da, aber ich musste auch bei Ihr feststellen, dass etwas nicht stimmte. Gedankenreich und Bauchmensch, wie ich war, musste ich dem Gefühl natürlich nachgehen und fand heraus, dass auch die Beziehung, die bis dahin drei Jahre hielt, nicht mehr weitergehen würde. Hätte ich mal nicht gefragt....Timing war zu dieser Zeit echt Alles...

Krankenhaus überstanden, die Lunge war soweit regeneriert und erfolgreich operiert, Bandtrennung, Beziehungs-Trennung, sechs Wochen Krankenschein. In der Zeit nach dem Krankenhaus haben mich diese persönlichen Misstände so sehr runtergezogen, dass ich mich nach Wiedereintritt in die Arbeit ziemlich schnell von dieser Stelle lösen wollte. So war die Idee. Ich bin nur noch mit Bauchschmerzen zu Maloche gegangen, es hat keinen Spaß mehr gemacht, es war nervig und negativ. Ganz tolle Idee: "Jetzt, wo alles in die Brüche geht, kann ich ja den Job wechseln und etwas Neues anfangen..." Bei dieser Idee blieb es dann aber auch.

Ende 2014 war ich dann soweit. Keine Band, keine Beziehung, keinen Job, dafür ein weiterer Besuch beim Arzt. Irgendetwas stimmte nicht mehr. Ich konnte es aber nicht wirklich einordnen. Wenn man dann beim Arzt ist und einen Diagnoseschein in die Finger gedrückt bekommt, auf dem steht "schwere Depression"...ja...es war nicht greifbar...erstmal nicht möglich, dies zu verstehen und zu akzeptieren. Ein mentaler, weiterer Genickbruch im Sammelsurium, persönlicher Missstände dieser Zeit. Alles vermeintlich Negative lief zusammen und entzog mir im wahrsten Sinne des Wortes, den Boden unter meinen Füßen. Die komplette Grundlage des normalen Lebens war auf einmal nicht mehr vorhanden.

Dies zu verstehen und damit umzugehen hat mich wenigstens ein einhalb Jahr gekostet. Was folgte war: Isolation, Rückzug, Aufgabe, nicht Kommunikation, Selbsthass, Verzweiflung, Angst, Wertlosigkeit, Schwere, Lebensmüdigkeit. Nichts ergab mehr einen Sinn. Ich wollte eine ganze Zeit lang einfach nicht mehr. Ich hatte keine Kraft mehr. Steckte energielos in einem nicht Enden wollenden Fall durch ein unglaublich widriges schwarzes Loch. Ich habe Alles in mich hineingefressen. Ich habe niemandem davon erzählt und wollte einfach nur noch schlafen und nicht mehr aufwachen. Tag ein Tag aus, immer das Gleiche. Man wacht mit der Frage im Kopf auf: "Wofür bist du überhaupt noch da?" Ich war mir selber nichts mehr wert, sogar weniger als das. Ich gab mir lange selbst die Schuld für meinen Absturz und konnte da alles nicht einordnen, geschweige denn damit umgehen.

Hätte ich nicht eine so wunderbare Familie und Eltern, die immer da waren und mir ein tolles Leben geschenkt haben, wäre ich heute wohl nicht mehr hier und könnte diese Zeilen kaum schreiben. Ich danke Euch und liebe Euch!!

Im Endeffekt hat es zwei Jahre gebraucht, um wirklich zu verstehen, was mit mir passiert war. Weitere zwei Jahre, um den Kampf anzunehmem und wieder etwas Gutes aus dem Leben machen zu können.

Jetzt, fünf Jahre später, blicke ich zurück und kann mit gewisser Distanz reflektieren und bin mittlerweile, seit gut einem Jahr, wieder frei und meistens glücklich und zufrieden. Diese ganze Zeit, diese ganzen Emotionen, diese ganzen Gedanken, die Isolation, die damit verbundene Sozialphobie...das hat mich verändert. Es hat mich so vieles lernen lassen, es hat mich noch feinfühliger und demütiger gemacht. Ganz unten gewesen zu sein, ohne den Willen noch zu Wollen, ist das Schlimmste an Emotion, was ich erlebt habe. Ich wünsche es wirklich niemandem und kann nur sagen, fresst es nicht in euch hinein, geht offen und ehrlich mit euch um und äußert eure Missstände so gut es geht.

Was mir in der Zeit enorm geholfen hat, war Verständnis und Akzeptanz durch Außenstehende. Wenn man sich selbst als wertlos empfindet, aufgrund von Hirnfickerei, ist es so wichtig, die Bestätigung von außen zu erhalten. Um zu sehen, dass mentale Scheiße mentale Scheiße ist. Um zu verstehen, dass der Verstand den eigenen Körper so sehr beeinflussen kann, dass alles den Bach runtergehen kann. Aber auch, um zu verstehen, dass es auch wieder weitergehen kann. Dass man dem eigenen Befinden und der verankerten Denkweise ein Schnippchen schlagen kann.

Tom, ich bin dir so unfassbar dankbar, dass du mich damals so angenommen hast, wie ich war und trotzdem mit mir Musik machen wolltest. Dazu ist zu sagen, dass ich in der schwierigen Phase eine einzige, spontane Idee hatte: wieder Musik machen zu wollen - was in den Jahren davor komplett abhanden gegangen war, weil es einfach nicht möglich gewesen ist - und ich hatte so ein großes Glück, dich getroffen und kennen gelernt zu haben. Ganz ehrlich, du warst mein Wegbereiter, der mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin.

Ich blicke zurück und sehe mein altes Ich.
Ich blicke ins Jetzt und sehe mich.
Ich bin glücklich, ich bin zufrieden, ich habe das Leben längst wieder angenommen.
So ein Einschnitt in der Psyche verändert. Es bleibt immer irgendwo als Narbengewebe auf der Seele zurück aber es hat mich stärker und besser gemacht, als ich es mir jemals vorstellen konnte.

Auch wenn es immer mal wieder Tage geben kann, die sich ohne großen Grund eher negativ anfühlen, ist es völlig okay, dass es solche Tage gibt. Ich nehme es an. Ich habe Zuversicht. Ich habe Freude. Ich bin unendlich dankbar, diese Erfahrung gemacht zu haben. Das Alles zeigt mir, was wichtig ist und was nicht wichtig ist. Das Leben ist nämlich trotzdem das wundervollste Leben, was wir haben.

Wenn man das mal nicht so sieht, ist es aber auch völlig legitim, man darf nur niemals aufgeben und abdriften, aber das werde ich nicht. Es ist ein anderer Weg, der beschritten wird. Er ist nicht unbedingt einfacher, aber trotzdem so unglaublich erstrebenswert und ambitioniert. Hürden bleiben Hürden und wenn man zurückblickt, sieht man: ja, auch da bin ich erfolgreich rübergesprungen. Alles ist möglich. Viel mehr als je zuvor.

Ich danke Allen, die mich so annehmen, wie ich mittlerweile bin. Ich danke Denen, die mich akzeptieren und schätzen. Ich schätze euch genauso, wenn nicht sogar mindestens dreitausendmal mehr und möchte jedem Einzelnen sagen, wie toll ihr seid!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen