Mittwoch, 18. Dezember 2019

Schreib-Challenge #3.2019 (Joe): Depressionen und das Öffentlichmachen


Depressionen und das Öffentlichmachen


Als ich vor rund fünf Jahren in dieses fiese dunkle und unsagbar schwerwiegende Loch namens Depression gefallen bin, war mir nach nicht viel zu Mute. Und erst recht nicht danach, es irgendwie öffentlich zu machen. Das war an sich zu der Zeit am Anfang auch noch gar nicht möglich, da ich erstmal ein halbes Jahr gebraucht habe, um wirklich zu verstehen bzw. zu merken, dass etwas ganz gewaltig schief läuft.

Statt den einsetzenden Schwermut, die immer stärker werdenden Ängste, die innerliche Veränderungen oder das Nichtwissen um meine mentale Situation irgendjemandem mitzuteilen, habe ich die ganze Angelegenheit einfach mal in mich hineingefressen. Leider ohne dabei zu zunehmen. Eher im Gegenteil. Je weiter der Fortschritt der Krankheit gewesen ist, desto weniger habe ich gegessen. Zum tiefsten und schwärzesten Zeitpunkt hatte ich nicht einmal darauf Lust. Hunger? Joa...egal. Nur das Nötigste. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich einfach nur trockenes Toastbrot mit Nuss-Nugat-Aufstrich gegessen habe...morgens, mittags und abends...wobei Zeit irgendwann auch egal war. Ich wollte eigentlich nur schlafen und nichts mehr mitbekommen müssen. Das war, wie gesagt, zum Zeitpunkt der totalen Bodenlosigkeit und Aufgabe...ja...ich habe oft genug zwischendurch gedanklich aufgegeben...es war mit großem Abstand die dunkelste, schwerste und emotionalste Phase in meinem Leben, die ich bewusst durchlebt habe.

Rückblickend betrachtet kamen damals einfach viel zu viele negative Veränderungen aufeinmal in mein Leben, die mir nach und nach den Boden und die Grundlage für ein normales Sein genommen haben. Ich, hochsensibler Mensch, Master im Gedankenmachen und super empfänglich für emotionale und mentale Veränderungen, bin nach und nach einfach vor die Hunde gegangen. (Wenn ich heute einfach nach und nach vor die Hunde gehe, hat das - zu meinem enorm großen Glück - wirklich mit Hunden zu tun! Und das ist sehr sehr gut so! (Im Nachhinein ist es so gut, zu merken, dass ich wieder Sarkasmus und Wortspielereien in dem Thema Depression einbauen kann)).

Nach gut einem halben Jahr habe ich es dann geschafft/gewollt/gemusst, einen Arzt aufzusuchen. Tadaaa: Diagnose, schwere Depression. Okay.... Machte es das nun leichter, zu verstehen oder einfacher, damit umzugehen? Nicht wirklich! Klar, meine Hausärztin hat damals mit mir die Möglichkeiten der Hilfe bei Depressionen durchgesprochen und alles. Aber was ich machen konnte, außer mir professionelle Hilfe zu suchen, wusste ich immer noch nicht richtig. Verständnis und Akzeptanz der Erkrankung: immer noch Fehlanzeige!
Öffentlichmachen in dem Sinne aber auf jeden Fall. Der Gang zum Arzt und die damit verbundenen Optionen der Behandlung waren nun etwas "Offizielles". Ich hatte ein Papier - und wir alle wissen, Papiere sind in Deutschland das A und O... - auf dem gestanden hat, was mit mir los gewesen ist. Ich wurde ersteinmal bis zum Dorthinaus krankgeschrieben und als arbeitsunfähig eingestuft. Der Schritt zum Arzt war definitiv der erste ganz, ganz Wichtige! Damit hat es dann auch so langsam angefangen, dass ich ein Bewusstsein für diese depressiven Episoden im meinem Leben entwickeln konnte.

Öffentlichmachen: beim Arbeitgeber, beim Arbeitsamt, demnach bei Versicherungen, beim Arzt.
Und auch bei meinen Eltern. Was im Nachhinein der zweite ganz, ganz wichtige Schritt gewesen ist! Ich verstehe mich blendend mit meinen Eltern. Es herrscht eine wunderbare Familienmentalität, man liebt sich. An sich wäre es ja kein Problem gewesen, direkt an die Menschen heranzutreten, die in jedem Falle Verständnis für meine Person gehabt hätten. Sich selber aber ersteinmal einzugestehen, was da los ist und es dann auch noch jemanden zu sagen, hat mich damals einfach aufgefressen. Ich wollte niemandem zu sehr zur Last fallen. Dachte mir, ja, das wird schon wieder. Ich hab zu dieser Zeit super viel einfach verdrängt, mich unsagbar viel mit Zocken und Kiffen abgelenkt und mich nicht wirklich damit auseinander gesetzt, was wichtig gewesen wäre.

Im Rahmen von Behandlungen und Möglichkeiten, wie man der Depression entgegenwirken kann, wurde dann auch immer mehr die Familie integriert und eine gewisse Information über den aktuellen Stand der Dinge wurde verbreitet. Aber das war okay für mich. Ich habe es tatsächlich und zum Glück einfach angenommen und wollte etwas dagegen unternehmen. "Depressionen kann man behandeln...", ja, das kann man! Es ist keine Phrase, auch wenn es so klingt, man muss es aber leider - und das ist das Schwierige, wenn man gar nichts machen kann oder will - zulassen und anfangen sich innerlich selbst zu behandeln. So hab ich's auf jeden Fall hinbekommen, wieder ein normales Leben führen zu können. Das Öffentlichmachen in diesem Sinne, hat mir auf jeden Fall sehr geholfen, die Situation aus anderen Sichtweisen, weniger subjektiv bzw. reflektierter zu sehen.

Mittlerweile bin ich in einem tollen, neuen Leben angekommen und habe keinerlei Probleme, über Depressionen, meine Phasen und die damit verbundenen Pakete zu sprechen. Es gehört nun zu mir. Es ist ein Teil von mir geworden. Es hat mich verändert. Besser gemacht. Und ja, es ist enorm wichtig, es auszusprechen und sich mitzuteilen. Therapie besteht zu einem Großteil aus Reden und gehört werden. Das ist wichtig! Aber es dauert. Es dauert mitunter Jahre. Es ist einfach voll der Weg, den man immer wieder gehen muss. Ich hab es zwar nie bewusst an die große Glocke gehangen, aber dennoch in unzähligen Beiträgen in meinem Blog thematisiert und auch verarbeitet. Ganz klar. Wobei es mir in meinen Texten mehr ums Verarbeiten, als ums Veröffentlichen geht. Dennoch trägt es dazu bei, zu helfen. Primär und sekundär.

Seine Probleme völlig unreflektiert in einem öffentlichen Raum - sagen wir mal: Facebook - zu thematisieren und sich darüber zu erhoffen, dass man Bestätigung, Mitleid, Hilfe oder irgendetwas anderes bekommt, ist allerdings etwas ganz anderes und der völlig unrichtige Weg. Bitte jetzt nicht falsch verstehen: es ist total gut, offen mit einer solchen Problematik umzugehen, aber man muss immer bedenken, dass gewisse Dynamiken aus dem öffentlichen Raum nicht ausbleiben und man damit dann auch umgehen muss! Und wenn man so befangen ist, dass man eh mit nichts wirklich umgehen kann, ist etwaiges Feedback meist kontraproduktiv. Man bekommt zwar Bestätigung und Verständnis, Zuspruch und auch eine gewisse Energie, aber diese ist in der Regel nur temporär und sehr kurzfristig, so dass man schnell merkt: "Hmmm, irgendwie gehts mir ja immer noch nicht besser." Und es geht einem auch solange nicht besser, bis man akzeptiert, annimmt und wieder nach und nach frei wird.

Im Endeffekt sind solche Schreie nach Hilfe nur die Hilfe wert, wenn wirklich etwas dabei rum kommt. Gerade im Netz sind die Menschen meistens so oberflächlich, dass der Wert und die Tragweite einer solchen Veröffentlichung total schnell abhanden gehen oder sich einfach anders darstellen, als man es "erhofft" hat. Hoffnung ist bei Depressionen - in meinen Augen ist Hoffnung aber eh allgemein zu ersetzten, weil sie einfach nichts bringt - zwar schön, aber auch nur Augenwischerei. Zuversicht. Kraft. Energie. Das Einsetzen eines neues Weitblickes. Darauf kommt es an. Das kann auch durchaus beim profilierten Öffentlichmachen einsetzen, setzt aber eine gewisse Reflektiertheit voraus. Deshalb halte ich auch nichts davon, im Sumpf des Selbstmitleides zu schwimmen und sich nur über Wasser zu halten. Irgendwann geht die Kraft nämlich komplett flöten und man säuft wieder ab. Das offene Umgehen mit einer Depression ist erst dann richtig offen, wenn man sie verstanden hat. Ganz oft, so lese ich es immer wieder, sind die Leute, die es dann tatsächlich "mal eben" öffentlichmachen aber einfach noch nicht soweit. Man muss schon extrem viel Glück haben, um darüber die richtig richtigen Menschen zu finden, die einem wirklich helfen. Grundsätzlich gilt aber: Hilf dir selbst und stärke dich. Du bist für dich verantwortlich. Genauso ist man selbst verantwortlich, zuzulassen, aufzumachen und anzunehmen. Erkenntnisse sind wichtig. Individuelle Eingehen aber auch. Demnach ist die "Meinung" oder der "Zuspruch" der breiten Masse auch so schizophren und eher weniger wert. Die meisten haben aber auch einfach keine Ahnung, wie man sich fühlt, wenn es richtig dunkel wird im Leben.

Ich habe meine Depression hier nun zum xten Mal quasi öffentlich gemacht. Die die mich kennen, wissen es aber eh schon, welche Odysee passiert ist. Ich sag ja immer: lies meinen Blog und du weißt schon ziemlich viel aus meinem Leben. Zwar stelle ich es nicht immer komplett klar, meist zwischen den Zeilen, dar, was mich beschäftigt und ausmacht, aber es ist da - für jeden ersichtlich. Und das ist auch ganz gut so. Ich bin aber auch mittlerweile so cool mit mir, der Thematik und dem Umgang, dass ich ganz genau weiß, was ich meinem Kopf sagen muss, um mich selber weiterhin am Leben zu halten und nicht abzurutschen. Im Endeffekt muss man mit sich selber cool sein und es wollen. Auf andere Menschen ist in der Regel selten wirklich verlass, also: nicht hoffen, sondern machen. Mit Zuversicht und Tatendrang, mit Geduld und Demut.

Depressionen sind scheiße. Niemand sollte so etwas erleben müssen. Es ist wirklich alles andere als schön, erstrebenswert oder toll. Seid froh, wenn es euch noch nicht gepack hat und schätzt eure Leichtigkeit, wenn sie gegeben ist. Es ist nicht selbstverständlich, wenn es so ist. Und die Dunkelziffer in Bezug auf mentale Erkrankungen ist eh so viel größer, als es in der Masse auffällt.

Pro darüber sprechen, pro sich damit auseinander setzen! Aber bitte denkt an eine vernünftige Plattform, wo dies passiert. Seid stark, bleibt dran. Alles kann immer wieder gut werden, wenn man selber will!

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