Sonntag, 9. September 2018

Ein Schwenk aus dem Leben

Dass ich das mal schreiben würde - ein Schwenk aus dem Leben - verrückt. Aber hey, Sachen passieren ja glücklicherweise.

Freitag auf Samstag Nacht, halb vier. Ich bin dann mal wieder raus zur Arbeit. Mittlerweile immer mit dem Gedanken, ob der Typ der das Material da ablegt, dieses Mal wohl pünktlich ist. In letzter Zeit, besonders Samstags, kam es häufig zu Verspätungen. Dann steht man da an dem Ablagepunkt herum. Und das unter Umständen bis zu ner dreiviertel Stunden. Das war bisher die längste Wartezeit...obwohl, einmal wars fast ne Stunde...wie auch immer: super lästig. Besonders dann, wenn man keine zeitliche Idee davon hat, wie lange die Verspätung und die damit verbundene Verzögerung im Betriebsablauf sein wird. Ich habe ja Geduld, aber das ist dann, wie auf die DB zu warten...verschwendete Lebenszeit.

Ich gehe an dem Ort des Geschehens dann meistens auf und ab. Gehe sehr gemächlichen Schrittes eine ungefähr drei mal sieben Meter große Fläche ab. Immer wieder von der einen Hausseite nach vorne und zurück. An der Vorderseite ist die Straße, die Kreuzung, an der der Typ mit dem Lieferwagen immer erscheint. Deshalb stehe ich dann auf halbem Wege immer an der Straße und werfe hoffnungsvolle Blicke nach links, in Erwartung, die Karre böge als bald um die Ecke. Irgendwann erscheint ja dann jemand...aber bis dahin, naja, ich muss mir was ausdenken, am besten etwas Produktives, was ich in der Zeit von ungefähr fünfundvierzig Minuten machen kann. Das wäre gut.

Am Samstag Morgen war es mal wieder soweit, Verspätung, Zeitüberbrückung, Schritte, Kippen. Aber: Menschen. Also ein Mensch. Bürgersteig, Vorderseite, aus der linken Richtung. Nun gut, auf der Straße, ungefähr einhundert Meter von der Ecke der Kreuzung entfernt, da ist halt auch ne Kneipe. Und an einem Samstag morgen, retrospektiv Freitagabend, kann es gut sein, dass betrunkene Menschen aus der Kneipe auf der Straße laufen und irgendwo hinwollen...oft nach Hause. Ganz ehrlich: wenn ich um diese Uhrzeit sichtlich betrunkene Menschen auf mich zu kommen sehen, habe ich immer ein leicht merkwürdiges Gefühl. Wer weiß, was das für Leute sind. Allerdings, so die Erfahrung, sind einzelne Betrunkene eher harmlos. Gruppen von drei bis vier betrunkenen Halbstarken, die eine leicht asoziale Herkunft zu haben scheinen, sind da schon ne andere Nummer. Ich will ja nie etwas beschwören, allerdings bin ich da echt vorsichtig geworden. Die Welt halt, man kennt sie.

However, der einzelne betrunkene Mensch kam dann so langsam in meine Richtung. Er hielt auf halber Strecke zweimal inne, hustete, spuckte auf den Boden und torkelte dann weiter. Immer mit einer Hand, der Rechten, leicht erhoben an den Häuserfronten entlang. Na, herzlichen Glückwunsch. Mittlerweile war es so vier Uhr morgens. Ich hab mein Telefon, was ich da gerade in den Fingern hatte, erstmal verstaut und guckte mir weiter das torkelnde Etwas. Welche Elend, dachte ich mir. Es kam dann näher, bog um die Ecke, stracks auf mich zu. Hart am nuscheln aber immerhin bemüht ein freundliches tschööön nbend heraus zu bringen, brachte er dann ein tschööön nbend heraus und fragte mich, ob ich mal Feuer hätte. Jo, sagte ich. Und zweifelte daran, dass er die Zigarette, die er gerade im Begriff war zu drehen, wirklich was werden würde. Alles in Allem machte er mir den Anschein, in meinem Alter zu sein, sehr betrunken, aber harmlos. Er lehnte dann da so an der Hauswand, drehte bestimmt drei Minuten an der Fluppe rum, bevor ich ihm dann das Feuerzeug aushändigte.

Er war einer der Betrunkenen, die so leicht nach vorn über gebeugt dann da so mit dem Verfall und dem Prozess des Alkohols leicht kämpfen. Dennoch auf meinen Hinweis, ob er die Kippe wohl rauchen können, die er da gebastelt hatte, lachte er nur kurz und meinte, klar, kein Thema...ja das sah man. Selbstgedrehte mit Filter im Suff sind so ne Sache. Entweder völlig luftig oder so scheiße gedreht, dass der Filter bei der kleinsten Berührung mit den Leben wieder flöten geht. Ich fand das amüsierend und etwas traurig. Aber wir kamen dann ins Gespräch, was ich hier mache, als er mir das Feuerzeug zurück gab. Von sich aus. Sehr löblich.

"Arbeit, ne, ich warte hier schon ein bisschen..."

"Ja, wer will jetzt schon arbeiten?"

"Muss, oder? Aber ist eigentlich ganz angenehm, um die Uhrzeit. Und du? Kommst da vorne aus der Kneipe?"

"Jo...Bierstüü..."

Ein ekelhafter Husten überkam diesen Menschen. Rauchen, Alkohol, es war relativ frisch. Er so in Pulli und Jeans, machte wie gesagt einen echt normalen Eindruck. Und wahrscheinlich echt eloquent, wenn er nüchtern war.

"Ja, das Bierstübchen, was für ein Laden! Schon auch eher so die Kaschemme, oder?"

"Joo..."

Ich dachte mir nur, was macht ein relativ junger und normaler Mensch alleine in so einer Kneipe, an einem Freitagabend. Trifft man da wirklich Gleichgesinnte? Eigentlich ist das so ne Kneipe, wo die Mitfünfziger täglich abhängen und es eigentlich keinen anderen Gäste, als diese Stammgäste gibt. Man weiß es nicht so genau, warum, weshalb, wieso. War ja auch nicht mein Bier. Ich wollte nur, dass der Typ mit dem Lieferwagen umme Ecke biegt.

"Darf ich dich mal unverschämter Weise nach der politischen Einstellung fragen?" sagte er dann recht unvermittelt.

"Ja, sicher. Das System fickt uns alle."

"Jooo...ds Sysss"

"Genau, die Wirtschaftspolitik ist so sehr verzahnt mit den Mittelschiebern dieser Welt, dass es mir einfach nur auf den Sack geht, dem dennoch entsprechen zu müssen. Aber ich halte mich da sehr raus, aus der Politik. Das läuft eh so weiter, wie es die Wirtschaft will. Wir müssten einfach mal alle aufhören zu arbeiten. Dann würde dem System so Einiges durch die Lappen gehen. Aber der kleine Mensch, wahlweise die breite Masse ist überhaupt nicht bereit, zu verstehen, dass es anders sein könnte. Ich sags dir, die Kurzfristigkeit der Dinge...auch hier..."

"Jooo. Echt mal" bei diesem Satz wurde seine Stimme leicht lebendiger und definitiv lauter. Alkoholdynamik, wenn man emotional wird. "Die ganzen Pisser da oben...die drücken uns doch eh nur und wollen manipulieren."

"Vielen ist es aber echt egal, oder die setzen sich damit nicht weiter auseinander. Auch ein Problem unserer Generation. Wir sind nicht richtig am Anfang und nicht am Ende. So mitten drin. Etwas schwebend und wartend auf den großen Verfall."

"Jooo, das mal ne gute Einstellung, findsch korrekt."

Seine Zigarette hatte dann im Laufe der Unterhaltung in der Tat ihren Filter verloren...er war zwar bemüht immer mal wieder dran zu ziehen, aber das war doch sehr effektlos. Dann schleuderte er den übrigen Stummel unmotiviert auf den Boden und schien im Begriff zu sein, sich von der Hauswand zu lösen und sich auf zu machen.

Ich fragte noch, wo hin des Weges, er darauf: nach Odenkirchen. Ich so: na herzlichen Glückwunsch!! Er würde zu Fuß mindestens noch ne Stunde unterwegs sein, von da wo er jetzt war.

"Oha, dann wünsche ich mal eine gute Ankunft."

"Du bist korrekt, weißte?"

Er reichte mir zur Bestätigung seine Hand und torkelte wieder weiter.

Kurz drauf kam dann auch der Typ mit dem Lieferwagen um die Ecke.







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