Samstag, 15. Juni 2019

Der Wolf und das wollige Gewand

Lupus et iaccam (der Wolf und der Mantel)

Es war einmal...ein Wolf im wolligen Gewand.

Es war Winter und der Wolf hatte das wollige Gewand bitter nötig, denn er zitterte ganz fürchterlich. Er war schwach und müde, die Nahrung wurde knapp, nein...sie war gar nicht mehr vorhanden. Das wollige Gewand blieb beim letzten Mahl übrig und er streifte es notgedrungen einfach über, da es damals schon sehr sehr frostig gewesen war.

Das arme Schaf, das nun tot und ohne Fell war. Zumindest der Teil von dem Schaf, der irgendwie übrig blieb, hatte kein Fell mehr. Der Wolf ließ das gerissene Vieh einfach im Schnee zurück, nachdem er zaghaft und erschöpft ein paar Bissen und Fetzen aus dem Kadaver kaute. Besser das Schaf, als er selbst, dachte der Wolf. Und ein neuer Mantel. Tod. Win. Win.

Der Schafspelz wärmte ihn schon ganz gut. Das war auch bitter nötig, denn er zitterte ganz fürchterlich. Er trug den Pelz nun schon ein paar Wochen mit sich herum. Weiterhin auf der Suche nach mehr Nahrung oder vielleicht Erlösung. Er konnte eigentlich schon lange nicht mehr und seine Knochen und Glieder waren schwer. Von der einst so dynamischen Athletik blieb nicht viel. Er schleppte sich selbst und zudem das wollige Gewand durch den tiefen Schnee. Vielleicht fand er ja doch nochmal ein Reh, spekulierte er...fantasierte er.

Zwei Tage später kroch das oberflächlich weiß-gelockte Tier immer noch durch die verwehten Wälder. Der Wolf schlich mittlerweile so gebückt unter dem Gewicht des mit Schnee bedeckten Mantels, dass man meinen konnte, es handle sich tatsächlich um ein verirrtes und sichtlich verwirrtes Schaf auf Abwegen. Aber es war nur ein müder und kraftloser Wolf, der bald den Waldesrand erreicht haben würde. Das wollige Gewand wog so schwer, aber es war weiter bitter nötig, denn der Wolf zitterte ganz fürchterlich. Man konnte ihn schon klappern hören. So dünn und knochig war er nun.

Kriechend trat er bald aus dem Wald hervor. Ringsherum weites Land. Ein paar Hügel lugten hervor. Sonst war da nicht all zu viel, außer noch mehr weißer Winterpracht. Der Wolf hielt einen Moment inne, verharrte ganz kurz, spitzte die geknickten Ohren und dachte, ihm sei so, als höre er, wie jemand lachte. Er legte sich vorsorglich schonmal auf die Lauer, an Ort und Stelle. Merkte aber wie kalt es ohne das wollige Gewand am Bauch wurde und erhob sich ziemlich schnell wieder.
Irgendwas witterte er nun aber doch. Hinter dem Hügelchen...da war doch was?!

Taps. Taps. Kriech. Schnüffel. Taps. Das Schaf, ehm der Wolf, der so ausgemergelt unter Gewicht der Schafaußenseite erdrückt werden zu schien, näherte sich behutsam der Hügelkuppe, um einen relativ klaren Blick für die Situation zu bekommen. Von der anderen Seite des Hügels sah es nun so aus, als würden zwei Schafohren hinter der Kuppe hervorkommen. Aber es war natürlich der Wolf mit seinem bitter nötigen und wolligen Gewand.

Als der Wolf nun sah, was er eben hörte, wurde ihm ganz warm ums Herz und der Sever flutete ziemlich schnell seine Lefzen. Was er nun sah, machte in der Regel mäh, war in der Regel trotzdem weiß und man konnte prima Mäntel daraus machen. Da standen oder besser gesagt ruhten doch glatt zwei Schafe. "Hurz" schoss es dem müden Wolf durch den von Hunger zerfressenen Schädel. Was zu Beißen war bitter nötig, denn er hungerte schon fürchterlich.

Der Wolf mit dem wolligen Gewand plante den Angriff. Viele Optionen gab es leider nicht, musste er feststellen. Da war ein knochiger Busch auf halbem Wege die Böschung runter. Nun gut. Unbemerkt hinter den Busch und dann so schnell es geht rauf auf die Viecher und ran an die Kehlen. Er rechnete aber schon damit, jeweils zweimal zubeißen zu müssen...auch die Beißkraft litt unter dem wolligen Verstand.

Er nahm gebückt seinen Weg auf und behielt dabei die beiden Happen ganz genau im Auge.
Bisher schienen sie ihn aber weder erkannt, noch bemerkt zu haben. Schon toll so ein Mantel, dachte sich der Wolf und war jetzt sogar so optimistisch, dass er den Busch links liegen ließ und direkt auf die Mahlzeiten zusteuerte. Meter um Meter näherte er sich. Schlich nun nicht mehr und machte die entscheidenden Sätze und setzte mit Enthusiasmus und aller nötigen Kraft seine medium-scharfen Reißzähne in die Kehlen der Woll-Tiere, die wie erschrocken nur kurz zuckten und beide – mehr oder weniger – ziemlich schnell starben.

Der Wolf - froh um den wolligen Mantel, der ihm eine scheinbare Unsichtbarkeit ermöglichte – blickte nun ein bisschen stolz auf das Ergebnis seiner Attacke, musste aber mit Entsetzen feststellen, dass er gar nicht so stolz sein konnte. Er prustete gerade noch die letzten dunklen Fellreste aus seiner Schnauze und wunderte sich, warum, die Schafhaare, wie wie Wolffell schmeckten. Da lagen nun beide toten Tiere, gerissen durch den gerissenen aber müden und ausgemergelten Wolf und bluteten ein bisschen die Landschaft voll. Der Wolf blinzelte zweimal, schüttelte sich kurz und sah, dass die Schafe in Wirklichkeit zwei andere Wölfe mit einem wolligen Gewand waren, die dort am Ende ihrer Kräfte lagen und scheinbar zu schwach waren, sich ihrer Verkleidungen zu entledigen.

Der Wolf übergab sich kurz. Er war nun völlig verwirrt und entrückt. Er ließ sich einfach resigniert auf den Boden sacken und blickte, den Mantel immer noch über den Schultern, in die toten und blassen Augen seiner gerissenen Artgenossen. War das die Erlösung gewesen, die er suchte? Außer leeren Blicken bekam er aber keine schlüssigen Antworten und gab letzendlich einfach auf. Er erlöste die Beiden, obwohl er sie eigentlich nur fressen wollte. Wer würde ihn nun erlösen? Auch diese Antwort blieb ihm verwehrt, denn er entschied sich, den Mantel des Schweigens auf alles herab zu lassen und sich selbst zum Sterben neben seine Artverwandten zu legen.

So täuschte eine vermeintliche List eine andere List und hinterließ drei Wölfe im wolligen Mantel. Von oben betrachtet, sah man nur zwei rote Lachen, die sich kreisrund in den kalten Schnee fraßen.

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