Samstag, 20. April 2019

Altmodische Dystopie-Romantik oder Neo-Kitsch

Wenn man in der heutigen Zeit eine völlig klassische Beziehung bzw. Partnerschaft eingeht, die einfach wunderbar funktioniert, wie sie funktioniert und wenn man zudem ein abgrundtief romantischer Mensch ist, kann es einem manchmal so vorkommen, dass man sich fühlt, als sollte man besser im Mittelalter leben. So komme ich mir in der Tat derweil vor. Das liegt zum Einen an meiner sehr altmodischen Ansicht von Liebe und auf der Gegenseite an der extrem hippen und sagen wir mal: modernen Welt. Nichts gegen die Moderne. Ich find's toll, ständig und überall meine Musik hören zu können. Ich find's toll, dass es LEDs gibt. Ich finde die Idee der problemlosen Kommunikation an sich auch gut. Warum fühle ich mich also, als wäre ich im Mittelalter besser aufgehoben, obwohl ich in einem modernen aber dystopischen Umfeld leben muss? Aber es ist ja erst eine Dystopie, wenn die Gesellschaft es bestätigt und es selbst über sich sagt. Obwohl alle immer jammern und nicht wirklich wissen, was sie wollen, sind sie dennoch zu nah und subjektiv an der Masse, um sich einen distanzierten Blick erlauben zu können, der eventuell sagt: Ja, das ist dystopisch. Aber nun gut. Mittelalter-Ich meets Future-Fame-Egos.

Das Mittelalter-Ich: Es schreibt Gedichte und Oden. Es ist ein etikettiertes Wesen und besitzt ritterlichen Edelmut. Es weiß um die rar gesäten Möglichkeiten, wenn es um das Avancieren und Begehren einer Herzdame geht, die von nun an in seinem edlen Leben die größte Rolle spielen soll.
Das Mittelalter-Ich ist ein klassischer Verfechter von Knigge-Ideen, ist ein wahrer Gentleman und darüber hinaus hat es den kreativen Geist alter Poeten und Künstler. Es würde eine Laute besitzen, mit der es unter dem steingerahmten Fenster eines Turmes stünde, um einer holden Maid Oden zu schmettern...egal ob des Nachts, bei Wind oder gar Wetter. Wobei das Wetter im Mittelalter wohl echt beschissener gewesen ist. "Klimawandel" war damals ja noch nicht so im Trend, wie derweil...

Wenn ich so in die Moderne-Dystopie schaue, sehe ich nur noch wenige dieser klassischen Werte und Ansichten, die das Mittelalter-Ich zum Mittelalter-Ich machen. Zwar wollen alle immernoch irgendwie glücklich und zufrieden sein, dies auch gerne unter zur Hilfenahme eines Teilzeit-Partners, aber der Weg zum vermeintlichen Glück ist so ein Anderer, als er mal gewesen ist. Heutzutage gibt es eine andere Art von persönlichem Glück: die kurzfristige Geltung. Lieber oberflächlich von Hunderten bestätigt werden, als von einem, der es wirklich echt und ehrlich meint. Nun gut. Die Masse ist, was die Masse macht. Macht die Masse Kurzfristigkeit, ist die Masse Kurzfristigkeit. Will die Masse Fame statt Dame, wird die Masse Fame und lame. Was die Masse will: ein paar Minuten gelten, um unmittelbar zum Obermufti in Brave-New-World zu werden. Das Lustige: jeder will der Obermufti sein und keinen interessierts, was der andere macht. So wirds immer irgendwen geben, der als aller Erster da war und dann den Rest, der nur mitmacht und abkupfert. Was ist denn aus der Persönlichkeit geworden? Was ist mit individuellem Anspruch, frage ich mich. Wer stellt sich denn noch unter das steingerahmte Fenster eines Turmes? Wer schreibt denn noch Gedichte oder ist ernsthaft daran interessiert, dass es jemand anderem besser gehen soll, als sich selbst?

Genau: Das Mittelalter-Ich. Es opfert sein letztes Hemd, verhökert sogar seinen Gaul oder bindet gar Flechten aus Haar, um ein Stück weit näher sein zu können. Es besitzt weder ein Navigationsgerät, noch wird es vom "Teufel in der Hand" besessen. Da Hexen ja eh nur ein Mythos sind, ist der Grad der Besessenheit im Mittelalter offenbar doch sehr viel geringer gewesen, als es jetzt in der Moderne ist. Aber was sind schon Mythen?! Keiner mag Mythen, die sind ja eh nicht echt, sagen sie dann. Das kann man eh nicht erreichen, sagen sie dann. Und dann kommt da die Masse wieder daher und macht, was die Masse macht. Zack: alle Mythen entkräftet. Und dabei schaut die Masse in den Staub. Nicht nach oben oder nach vorne, nein, nach unten. Fast unentwegt. Vielleicht bekommt die Gesellschaft ja deshalb nicht mehr mit, wie sie sich selbst manipuliert. Könnte ja sein?!

Das Mitelalter-Ich befindet sich aber nun mal auch in dieser Neo-Dystopie und fragt sich, wo das Mittelalter abgeblieben ist. Manchmal fragt es sich aber auch, warum das Ich in dieser falschen Zeit feststeckt. Dann wiederum erkennt es, dass es die Masse ist, was es an sich selbst zweifeln lässt. Es ist nicht wie die moderne Masse...es ist ja auch das Mittelalter-Ich. Es ist gut, wie es ist. Es ist ein vergangener Traum, der heute nicht mehr geträumt wird. Es ist erstrebenswert für die, die auch lieber im Mittelalter wären. Es passt nicht in die Masse. Dennoch möchte die Masse natürlich sehr, dass es ein Teil von ihr wird.

"Halte ein, oh Masse!" verkündet nun das Mittelalter-Ich: "Hinfort mit dir, du grausig Wesen. Nichts über Nichts würde ich erbarmen, dir zu entsprechen. So lass mich dann in Ruh, hinfort, du dunkle Macht!", und fügt hinzu: "Alles, was ich brauche habe ich doch schon. Was obliegt dir so zu tun, als würde etwas Andres helfen, mir zu sagen, was ich soll tun oder was ich soll sein?
Mein eigner Anspruch zur Genüge, dem will ich nur entsprechen und züge daraus mein Glück. Ganz einfach mit etwas Mühe, Anstand und Poesie im Herzen. Oh warte, die Worte mögen dir so fremd erscheinen – kürzt Du doch dein eignes Wort, um einfacher und weniger machen zu müssen. Lasst mich in Ruh mir euren Mannigfaltigkeiten und Geworbnem. Das einzig wahre Wort versprech ich nur der Maid aus dem Turm mit dem steingerahmten Fenster. So, hinfort von diesem Ort, in den Staub mit dir!"

"Hmmm? Hast du was gesagt, du Sonderling?" entgegnete die Masse und zögerte nicht, sich selbst mit einem oberflächlichen aber eindeutigen "Okay" zu bestätigen und zog gänzlich un-irritiert weiter. Das Mittelalter-Ich freute sich, das Ungetüm in die Flucht geschlagen zu haben und bewies sich selbst seinen ritterlichen Mut. Die Masse war immer noch die Masse und das Mittelalter-Ich wollte immer noch im Mittelalter verweilen. So trennte sich dann die Spreu vom Weizen und Spreu blieb, was das Spreu blieb. Nämlich: übrig und ziemlich wertlos, im Vergleich zum Weizen.

Das Mittelalter-Ich zog dann alsbald mit seiner Herzdame (und dem Weizen) von Dannen und baute fernab der Masse einen eigenen Turm, mit nicht nur einem, sondern gleich drei steingerahmten Fenstern, einem kleinen Hof und einem verzierten Handlauf im inneren des Turmes. Das Leben war leicht und voller Glück. Das Mittelalter-Ich war nun endlich wieder in seiner Zeit angekommen und strebte an, dort zu verweilen. Es würde zudem ständig den Hofe kehren, fegen, bürsten und pflegen, um in der Ruhe des Glückes, mit seiner holden Maid auf ewig zu verweilen.

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