Mittwoch, 21. Oktober 2020

Schreib-Challenge #3.2020 (Sonja): Jeder ist seines Glückes Schmied

 

Jeder ist seines Glückes Schmied

Emily und Lisa waren die besten Freundinnen und vertrauten sich blind. Sie waren immer für einander da und sofort zur Stelle, wenn einer von ihnen in einer Krise steckte. Was bei Lisa  allerdings häufiger der Fall war als bei Emily. Die Jahre vergingen und in Lisas Leben reihten sich die Krisen aneinander, während es in Emilys meist nur aufwärts ging. Sie hatte alles, was Lisa sich wünschte: einen liebevollen Partner, einen guten Kontakt zu ihrer Familie und eine gut bezahlte Arbeit. Lisa war deswegen häufig neidisch und fühlte sich dann schlecht, weil sie sich nicht so für Emily freuen konnte wie es eigentlich sein sollte. So oft stellte sie sich vor an Emilys Stelle zu sein und würde alles dafür geben, um wenigstens einmal in den Genuss eines unkomplizierteren Lebens zu kommen. Sie wusste zwar, dass auch Emily schwere Zeiten durchgemacht hatte, doch war sie eben auch immer diejenige, die in kürzester Zeit wieder auf den Beinen war. Dafür bewunderte Lisa sie sehr. Je mehr Probleme und Herausforderungen in Lisas Leben auftauchten, desto gehemmter wurde sie Emily gegenüber. Sie traute sich eines Tages nicht mehr mit ihr über ihre Probleme zu sprechen. Es lag nicht daran, dass sie Emily nicht mehr vertraute, sondern viel mehr daran, dass sie niemandem, auch Emily nicht, mit ihren Problemen zur Last fallen oder langweilen wollte. Sie entfernte sich von Emily und machte alles nur noch mit sich selbst aus. Emily bemerkte die Veränderungen in Lisas Verhalten zwar, dachte sich aber erst einmal nichts dabei. Lisa hingegen versteckte ihre Gefühle vor allen und ließ sich nicht anmerken wie unglücklich sie in ihrer Beziehung war und wie schlecht es ihr wirklich ging. Auch nachdem Lisa sich schließlich trennte war es Emily nicht bewusst, wie schlecht es ihrer Freundin tatsächlich ging und ließ sich viel zu leicht vom Gegenteil überzeugen. Lisa war jedoch von ihr enttäuscht und hätte mehr von ihr erwartet. Als Folge zog sie sich weiter von ihr und der Außenwelt zurück, schaltete ihr Handy aus und verließ die Wohnung nur noch um zur Arbeit zu gehen. Ihre Gedanken kreisten besonders nachts pausenlos und die Ereignisse der letzten Monate ließen sie einfach nicht los. Lisa begann an sich zu zweifeln und war schnell der festen Überzeugung, dass sie es nicht verdient hatte glücklich zu sein. Sie ging bald vollkommen in ihrem Leid auf und verlor sich immer mehr. So vergingen einige Wochen, in denen sie mit Ausnahme der Arbeit, keinerlei Kontakt zur Außenwelt hatte. Doch an einem ihrer freien Tage klingelte es schließlich an ihrer Tür. Sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden und ignorierte das Klingeln. „Wer sollte schon bei mir klingeln?“ dachte sie und war überzeugt, dass es nur der Postbote sein konnte und der würde wohl einen anderen Weg finden, um die Post einzuwerfen. Als das Klingeln nicht aufhörte, schaute sie aus dem Fenster hinunter zur Straße und entdeckte Emily vor der Tür. Als Emily sie sah, rief sie:

„Bist du eigentlich bescheuert einfach so abzutauchen? Ich hab mir Sorgen gemacht! Jetzt mach endlich die verdammte Tür auf!“

Sie erschrak bei Lisas Anblick als sie die unaufgeräumte Wohnung betrat. Sie hatte stark abgenommen, dunkle Ringe unter den Augen und war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Emily tat das Erste was ihr in den Sinn kam und nahm Lisa in den Arm. Sie war schockiert sie so zerbrechlich zu sehen. Sie hatte Lisa immer für ihre Stärke bewundert. Sie wusste, dass es nie einfach für sie gewesen war, aber sie schien doch immer glücklich zu sein. Während Lisa ihren Gefühlen an Emilys Schulter freien Lauf ließ, machte sie sich wiederum Vorwürfe, dass sie den Ernst der Lage nicht eher erkannt hatte. Als alle Tränen geweint waren, erzählte Lisa schließlich alles was sie in den letzten Monaten durchgemacht hatte. Stunden später ging Emily erst nach Hause, nahm Lisa aber noch das Versprechen ab, sich zu melden wenn sie über irgendetwas reden wollte oder einfach nur eine Schulter zum Anlehnen brauchte.

Noch am selben Abend schmiedete Lisa einen Plan, denn das war nun mal ihre Spezialität und schrieb Emily am Morgen einen Brief:

„Emi, ich danke dir für alles was du gestern für mich getan hast. Für das Zuhören, aber auch für den Tritt in den Hintern, der war wohl schon lange überfällig. Mein Verhalten dir gegenüber war in den letzten Monaten einfach grässlich, dass du gestern trotzdem zu mir gekommen bist, ohne dass ich dich darum gebeten habe, bedeutet mir eine Menge. So viel, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Das Ende meiner Beziehung hat mich mehr mitgenommen als ich dir, aber auch mir gegenüber zugeben konnte. Ich weiß, dass du dein Glück bereits gefunden hast, ich jedoch nicht. In den letzten Monaten habe ich mich selbst verloren und bin zu einer ziemlich schlimmen Version von mir selbst geworden. Ich gefalle mir so nicht und kann so nicht glücklich werden. Ich möchte mich wieder uneingeschränkt für andere freuen können, mein Leben genießen und einfach glücklich sein, aber das kann ich hier im Augenblick nicht. Deswegen werde ich bald die Stadt für einige Zeit verlassen, vorher muss ich noch ein paar Dinge auf der Arbeit klären. Ich brauche dringend einen Tapetenwechsel und ein bisschen Abstand, um mich daran zu erinnern wie es vorher war. Ich muss meine Dämonen loswerden und das geht zu Hause gerade einfach nicht. Hier erinnert mich alles an die Vergangenheit, die so schwer wiegt, dass ich unter der Last zusammengebrochen bin. Jeder definiert Glück und glücklich sein irgendwie anders. Für mich war es das größte Glück, dass du in mein Leben gestolpert bist und einfach nicht mehr verschwindest. Du bist eine starke Persönlichkeit, die so viel zu geben hat. Vergiss das nie. Zu wissen, dass du immer für mich da bist, macht mich unendlich glücklich, aber ich muss eben auch die vielen kleinen Dinge, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern wiederfinden, damit ich dann auch irgendwann mein großes Glück finden kann. Jeder ist seines Glückes Schmied, aber dafür muss ich erst wieder herausfinden was mich eigentlich glücklich macht, außer meine Familie und Freunde. Ich bleibe noch eine Weile offline, um mich voll auf mich selbst konzentrieren zu können, ohne Ablenkungen. Denn wenn ich mich nicht selbst liebe und mit mir nicht im Reinen bin, kann ich auch nicht glücklich werden. Dieser Überzeugung bin ich immer schon gewesen und du hast mich wieder daran erinnert.

 Alles Liebe, Lisa“

Der Brief erreichte Emily wenige Tage später. Nachdem sie ihn gelesen hatte, legte sie ihn mit einem Lächeln beiseite und sagte zu ihrem Freund:

„Es wird dauern, aber sie wird es schaffen!“

Seitdem sind einige Monate vergangen und Lisa hat den Weg zurück ins Leben gefunden. Sie genießt die Zeit mit ihren alten und neuen Freunden, aber auch mit ihrer Familie, selbst dann wenn man mal nicht einer Meinung ist. Sie nimmt sich regelmäßig Auszeiten, in denen sie Dinge tut die ihr Spaß machen. Sei es eine fremde Stadt entdecken oder auch eine neue Sprache lernen. Ihr wurde bewusst, dass sie sich viel zu lange mit dem Negativen aufhält. Deswegen hat sie begonnen alle Momente in denen sie glücklich war, etwas Positives geschehen ist oder sie einfach herzlich lachen musste auf kleinen Zetteln festzuhalten und in einer Box zu sammeln. Am Ende des Jahres würde sie dann alle Zettel noch einmal lesen und sich an die vielen kleinen Glücksmomente erinnern und würde feststellen, dass ihr Leben gar nicht so negativ ist, wie es ihr manchmal vorkommt. Auch wenn sie alleine durchs Leben geht, ist sie stärker und glücklicher denn je. Selbst ihre letzte Beziehung kann sie jetzt, mit einigem Abstand, als Glück bezeichnen. Denn durch ihn hat sie gemerkt, was sie in einer Beziehung will beziehungsweise nicht will und ist zu der starken, unabhängigen Persönlichkeit geworden, die sie heute ist.

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