Sonntag, 14. Juli 2019

Schreib-"Challenge" #1.2019 (David): Schatzihasipupsimausi...

Schatzihasipupsimausi - das Geschmiere mit dem Honig und wieso sich Unbekannte online/virtuell abknutschen und im Real-Life nicht einmal miteinander reden können.

 
Netzherzen

„Gute Nacht,“ schrieb sie und eine kleine Flut Herzen folgte ihrer Nachricht.
„Dir ebenfalls eine gute Nacht,“ antwortete ich und verwendete – um nicht gar so unmännlich zu wirken – nur ganz normale Smileys.
Ein wenig verwirrt schloss ich Facebook. Es war drei Uhr in der Nacht. Schon wieder.
Seit einigen Wochen schrieb ich nun schon so mit Sonja* und empfand immer noch eine Mischung aus Amnesie-Verwirrtheit und hormoneller Glückseligkeit. Jeden Abend traf man sich, scheinbar zufällig, in den Kommentarspalten dieser Single-Gruppe, diskutierte mal über Philosophie, mal über Träume, bis sich die Reihen der Mit-Diskutanten langsam lichteten. Wenn dann, in der späten Nacht, nur noch wir beide die Kommentarspalte am Leben hielten, wurde es persönlicher. Wo man zuvor noch über Platos Höhlengleichnis gesprochen hatte, flogen nun Fragen wie „Was hat dich jemals am schlimmsten verletzt?“ oder „Wovor hast du besonders viel Angst?“ hin und her.
Zuerst war ich zögerlich. Solch intime Dinge besprach man nicht einfach so mit jedem. Allerdings legte sich dieses Gefühl recht schnell. Immerhin schrieb ich hier allabendlich mit einer Frau, die nicht nur für Profanes interessierte, die nicht Spruchbilder über den bösen Montag und den guten Freitag verbreitete, die sich ausdrücken konnte, die sich für Themen aus Gesellschaft und Philosophie interessierte, mit der man über Metaphysik genau so gut diskutieren konnte, wie man sich über die humoristischen Unzulänglichkeiten eines Mario Barth lustig machen konnte. Auch war es ihr nie ein Anliegen, eine Debatte zu gewinnen. Viel mehr lernte man voneinander, sah die Welt durch die Augen des anderen, fühlte und dachte wie das digitale Gegenüber.
Anfangs war es nur erfrischend gewesen. Eine angenehme Abwechslung vom allgegenwärtigen Narzissmus, der sich durch die Welt der Nullen und Einsen frisst, und stetig nur darauf aus ist, seine persönliche Stammtisch-Weltanschauung ohne nennenswerte Daten und Fakten oder wenigstens Logik in die Welt zu blasen und dabei jeden Kritiker nur zu attackieren. Das Gefühl, wie es ist, mit jemandem zu diskutieren, die sich um das Verstehen der Welt bemühte, hatte ich schon fast vergessen. Im Netz gibt es kein Verstehen der Welt, es gibt nur Panzerblasen, angefüllt mit Wahrnehmung, die allzu gern mit Wahrheit verwechselt wird.

Einige Wochen später kommunizierten wir nicht mehr in den Kommentarspalten, sondern über Whatsapp. Wir schickten uns lange Sprachnachrichten, und lachten darüber, dass wir die Chatfunktion als Notizhilfe benutzen mussten, um adäquat zu antworten. Meine Verwirrung war inzwischen rasender Verliebtheit gewichen und die Frage, wie es denn sein könne, dass ich solche Gefühle für eine Person entwickeln konnte, die ich noch nie in meinem Leben real gesehen habe, stellte ich mir immer seltener.
Schließlich wusste man alles voneinander. Erfahrungen, Wünsche, Begehren – aber vor allem Leid.

Es fiel mir erst kaum auf. Aber alle privaten Fragen, alle persönlichen Themen liefen irgendwann auf leidvolle Erlebnisse hinaus. Ja, ich wusste alles von ihr – alles Schlimme, was ihr je widerfahren war. Ich wusste von der Katze, die sich in ihrer Kindheit selbst erhängt hatte, wusste von Gewalt in der Familie, von Gewalt von Fremden, Fehltritten in der Jugend, dem falschen Mann, Drogenerfahrungen und mehr Gewalt in der Familie.
Und sie wusste von mir, wie ich in der Schule gemobbt wurde, welche Folgen der Weggang meines Vaters hatte, welche bitteren Erfahrungen ich mit Armut machen musste, wie ich unverschuldet in Schulden gelandet war – unsere Gespräche waren ein Austausch der Bitterkeit geworden. Wenn Verliebtheit rot ist, hatte sie nun einen toxischen Grünstich.
Dabei lenkte nie ich die Themen, sondern immer sie. Geschickt setzte sie Stichpunkte immer so, dass wir bei irgendeinem Trauma rauskamen. Sie war selbst bei schlimmsten Erzählungen immer so souverän, wie Reinhold Messner, wenn er von seiner Everest-Besteigung erzählt. Ich hingegen lag immer mit Magenschmerzen wach, wenn unsere Gespräche Nachts um drei mit vielen Herzchen und Kusssmileys endeten. Ich hielt das eine Weile für die sprichwörtlichen Schmetterlinge. Diese können bekanntermaßen auch schmerzhaft sein.

Natürlich hatte ich immer wieder nach Treffen gefragt. Und ich redete mir ein, dass diese sich nie ergeben würden. Denn schließlich hatte sie immer gute Gründe, warum sie hier nicht konnte und dort keine Zeit hatte. So zogen sich unsere nächtlichen Gespräche über Monate hin. Das rosige Gefühl der Verliebtheit verkam zu einer klebrigen Pampe der Enttäuschung.

Doch dann sollte ich doch wieder hoffen dürfen! Eine Party der Single-Gruppe sollte demnächst stattfinden und sie wollte auch kommen! Wir versicherten uns, wie sehr wir uns aufeinander freuten, die Trauma-Geschichten wurden etwas weniger, die Herzchen nahmen zu. Solche Vorfreude hatte ich zuletzt, als ich als Kind auf den Weihnachtsmann gewartet hatte!

Die Party läuft seit zwei Stunden und sie ist schon wieder weg. Sie war mit einem Typen da, hatte verkündet, dass sie nun nicht mehr Single sei, dass sie aus der Gruppe austreten würde.
Wir hatten nur wenige Worte miteinander gewechselt.
Die Party ist für mich nun nur noch ein Besäufnis. Ich saufe ein Hass-Bier nach dem anderen. Ein Kerl setzt sich zu mir. Er kennt mich offenbar aus der Gruppe. Ich kenne ihn nicht. Er ist mir gleichgültig. Er beginnt zu faseln. Wie es sein könnte, dass Sonja und ich uns in den Kommentaren so anhimmeln, und dass jetzt was mit 'nem anderen laufe. Er lallt irgendwas davon, was ich wohl falsch gemacht hätte, er hätte sie sich gekrallt, hätte den anderen zur Not zusammengeschlagen. Das mache ein echter Kerl so.
Ich muss mich sehr zusammennehmen. Geist und Selbstbeherrschung sind durchtränkt von Trauer und Alkohol. Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken, ihm das Glas über den Schädel zu ziehen. Aber nur einen Moment. So jemand bin ich nicht.
Ich atme also tief durch und gehe ohne ein Wort. Zu Hause besaufe ich mich weiter mit Gin Tonic, ehe ich in meinem Sessel einschlafe.

Am nächsten Morgen ist mein Handy voll von Nachrichten. Eine Freundin, die auch in der Gruppe ist, schreibt mir. „Mach dir nichts draus. Das macht sie mit jedem.“

Ach so.

*Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit (natürlich mit ein paar künstlerischen Freiheiten); der Name der Frau wurde natürlich geändert

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