Sonntag, 25. August 2019

Schreib-"Challenge" #2.2019 (Caro): Zwischen den Zeilen...

 

Zwischen den Zeilen- kaum jemand ist in der Lage empathisch und verständnisvoll zuzuhören. (anerzogen, Genetik oder erlernbar) 



Zwischen den Zeilen

"Caro! Hey wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Schön dich hier zu treffen."

Ich zucke leicht zusammen und blicke auf. Vor mir steht Anja. Wir kennen uns schon lange. Sind befreundet. Wir schreiben uns über WhatsApp, liken die Posts der jeweils anderen. Nur sehen tun wir uns fast nie.

" Anja, hi. Das ist ja ne Überraschung."

Wir umarmen uns, Küsschen links, Küsschen rechts.

"Wie geht's dir? Du siehst echt gut aus." Anja strahlt mich kurz an, dann gleitet ihr Blick an mir vorbei und mustert die Klamotten im Schaufenster hinter mir.

Ich mustere sie. Soll ich? Soll ichs mit der Wahrheit probieren? Sie hat mich schließlich gefragt.

"Also um ehrlich zu sein…es läuft im Moment ziemlich schlecht bei mir und…"

"Oh du Ärmste, ja so Zeiten hat man mal. Da kann ich auch ein Lied von singen. Stell dir vor, letzte Woche…" und so hörte ich mir geduldig Geschichten über unfähige Friseure, zu teure Schuhe, unpünktliche Paketboten und ähnliches an. Ich nickte, bedauerte, tröstete und gab Ratschläge, bis sich Anja mit einer Umarmung und einem "Kopf hoch, das wird bei dir bald wieder." verabschiedete. Betrübt schaute ich ihr nach. Gern hätte ich ihr, hätte ich irgendjemandem von der Trennung meines Partners, der drohenden Insolvenz, meiner Depression und dem drohenden Jobverlust erzählt. Doch keiner war da…niemand hörte zu…

Dieser Dialog ist zwar fiktiv, doch ich gehe fest davon aus, dass jeder ein solches Gespräch so oder so ähnlich selbst schon erlebt hat. Ich kenne es jedenfalls gut. Und stelle mit Erschrecken fest, wie sehr sich diese Art Konversation häuft.

Dabei ist Hören einer unserer sechs großen Sinne. Zu Zeiten der Jäger und Sammler war er überlebenswichtig. Das Knacken im Unterholz verriet und den Feind, bevor wir selbst zur Beute wurden. Sich mit seinem Gegenüber zu verständigen, erhöhte den Jagderfolg. Diese Liste ließe sich natürlich noch weiter fortführen, doch schon so kommt man um folgende Frage nicht drum rum :

Wann wurde aus einer überlebenswichtigen und evolutionär bedeutsamen Handlung etwas so Gleichgültiges?

Ja ich finde tatsächlich, die Menschen verlernen das Zuhören. Und es ist ihnen egal. In Zeiten von Social Media, WhatsApp, und einem immer digitaler werdenden Leben schwindet die Fähigkeit wahrer Empathie rapide. Kein Wunder, ist es doch im Grunde auch kaum noch nötig, sich verbal mit seinem Gegenüber auseinander zu setzen.

Das Erlebte? Einmal für alle gepostet, fishing for Compliments mit geringstmöglichem Aufwand. Oder direkt per WhatsApp allen in der Gruppe mitgeteilt. Ist doch auch viel einfacher. Und schöner. Kaum einer wird schriftlich kritisch nachfragen, oder gar eine richtige Diskussion vom digitalen Zaun brechen. Zu viel Aufwand, mit dem Ergebnis, dass man am Ende vermutlich einfach blockiert wird. Wer tut sich das schon an?

Natürlich ist nicht allein Social Media oder das digitale Zeitalter schuld an der Abstumpfung im Umgang miteinander. Ich denke, die Komplexität der heutigen Welt begünstigt es, dass wir es uns in unserer freien Zeit so bequem wie möglich machen möchten.

Der Druck der Arbeitswelt, immer mehr zu leisten, immer schneller voranzukommen für immer weniger Geld, teilweise mehrere Jobs erledigen zu müssen, um sich überhaupt ein normales Leben leisten zu können, ist eine enorme Energieleistung.

Dazu kommen dann noch Haushalt, Kinder, Schule, Partner.

Oder die völlige Überlastung unserer Sinne durch permanente Verfügbarkeit alles Möglichen. Ich kann quasi alles an jedem Ort der Welt erledigen. Einfach nur mal spazieren gehen? Ha, da kann ich doch unterwegs gleich noch paar Überweisungen fertig machen. Den schönsten Sonnenuntergang einfach nur genießen, tief durchatmen und mal den Kopf ausschalten? Erst, wenn ich das perfekte Bild für meine Follower hab. Usw…

Versteht mich nicht falsch, ich verdamme weder Social Media, WhatsApp und Co, noch bin ich dafür, nicht zu arbeiten oder liebe Menschen nicht an schönen Momenten in meinem Leben teilhaben zu lassen.

Ich glaube einfach, die meisten Menschen sind wie Strom. Sie gehen den W
eg des geringsten Widerstands. Durch all die oben erwähnten Möglichkeiten wird es uns sehr leicht gemacht, es immer bequemer zu haben, Konflikten aus dem Weg zu gehen und sich selbst nicht hinterfragen zu müssen. Dadurch stumpfen viele immer weiter ab.

Wahres, Empathie behaftetes Zuhören wird als immer anstrengender empfunden. Oder schlimmer noch: als immer unwichtiger.

Dies wäre eine Bankrotterklärung an die Menschlichkeit.

Ich hoffe, den ein oder anderen regt dieser Text zum Nachdenken an, vielleicht wird er als Grundlage für eine konstruktiv - kontrovers geführte Diskussion dienen ?

Mir bleibt nur noch zu sagen, ich wünsche euch allzeit ein offenes Ohr, wenn ihr es braucht.

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