Sonntag, 25. August 2019

Schreib-"Challenge" #2.2019 (David): Zwischen den Zeilen...

 

Zwischen den Zeilen - kaum jemand ist in der Lage empathisch und verständnisvoll zuzuhören. (anerzogen, Genetik oder erlernbar)



„Du hörst nie zu!“ mokierte sich Sina, stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. Wenn sie jetzt noch aufstampft sieht sie aus, wie ein schmollendes Kind, denke ich.

Ihrem Gesicht ist diese blanke Verständnislosigkeit anzusehen. Jene Verständnislosigkeit, die man bei Leuten sieht, die sich im Recht wähnen, weil sie ihre albernen Werte nie hinterfragt haben und ihr moralisches Konstrukt auf jeden anwenden, ohne sich jemals die Frage zu stellen, ob das Gegenüber überhaupt die gleichen Werte teilt. Diesen Blick sieht man sonst bei Autofahrern, die das erste mal erfahren, dass Radfahrer sehr wohl Vorfahrt haben können, bei Kneipenopas, die sich wundern, dass man ihren Rassismus nicht teilt, und eben bei Frauen. Bei Frauen, die erwarten, dass man jede ihrer Aussagen entkryptisiert.

Um es gleich zu sagen: natürlich trifft das nicht auf jede Frau zu und natürlich gibt es auch Männer, die gerne mal um den heißen Brei herumreden, weil sie Angst vor direkter Kommunikation haben. Aber meiner Erfahrung nach ist die Erwartung, dass Mann zwischen den Zeilen lesen können muss, durchaus eher weiblich und wird auch gerne als unhinterfragte Norm einfach mal vorausgesetzt.

„Ich habe dir verdammt nochmal gesagt, dass ich von dir abgeholt werden will!“ quakte sie weiter und stampft jetzt auch mit dem Fuß auf, was mir ein Schmunzeln entlockt.
Das war natürlich ein Fehler. Mit flammenden Augen und kreischender Stimme ergeht sie sich nun in einer Schreitrirade über meine Unzulänglichkeiten, insbesondere über meine Unfähigkeit, zuzuhören.

Ich schlürfe meinen Kaffee und höre zu. Dabei sehe ich ihre Wangen auf und ab wackeln, was ihr ein wenig Ähnlichkeit mit einer kläffenden Bulldogge verleiht.
Ich muss erneut schmunzeln. Zum Glück bemerkt sie es nicht.

Dass ich sie heute nicht von der Arbeit abgeholt hatte, war ein Fehltritt in einer langen Reihe Fehltritte. Zumindest aus ihrer Sicht. Dass wir eine Fernbeziehung führten, machte die Sache ohnehin schwierig. Dass sie ständig als Bitte formulierte Anweisungen erteilte, machte es nicht gerade leichter.

„Wo ist deine Empathie?!“ brüllte sie und starrte mich aus kleinen glimmenden Kohlenaugen an.
Offenbar erwartete sie eine Antwort.

Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, dann blickt ich ihr in die Augen. Ich wartete einen Moment, dann fragte ich mit leiser, aber fester Stimme: „Wo ist denn deine?“

Sie brauchte einen Moment, um den Vorwurf zu begreifen, doch dann weiteten sich ihre Augen und sie setzte schon zum nächsten gebrüllten Vorwurf an, aber ich kam ihr zuvor. Ich sprang von meinem Stuhl auf, baute mich vor ihr auf und überschrie sie einfach – das war die einzige Möglichkeit, zu Wort zu kommen.

„DU WEISST, DASS ICH ARBEITEN MUSS! DU WEISST, DASS MEINE FAMILIE ABHÄNGIG IST VON DIESEM JOB! DU WEISST, DASS ICH NICHT EINFACH ALLES STEHEN UND LIEGEN LASSEN KANN, NUR WEIL DU WAS WILLST!“

Da ich jetzt ihre Aufmerksamkeit habe, atme ich kurz durch und fahre ruhiger fort.
„Ich kann dich nicht nach Belieben abholen. Und ich kann auch nicht nach Belieben bis nach Aachen fahren, weißt du, was diese verdammten Tickets kosten? Ich kann auch nicht Nachts um drei mit dir telefonieren, wenn ich am nächsten Morgen um sechs aufstehen muss. Ich kann mir dir auch nicht ständig durch irgendwelche Wiesen wandern, wenn mein Heuschnupfen mich umbringt. Und ich kann auch nicht meine Freunde im Stich lassen, nur weil dir gerade langweilig ist.

Dafür gibt es verdammt noch mal einiges, was ich konnte. Ich konnte mich um dich kümmern, als es dir richtig mies ging. Ich habe deine Tränen getrocknet und deine Sorgen in mich aufgenommen. Ich war geduldig mit dir und deinen Problemen. Wie oft haben wir Dinge nicht gemacht, weil du nicht konntest? Weil es dir schlecht ging? Ich akzeptiere auch dein Helfersyndrom und sitze bangend in Dortmund, während ich weiß, dass du irgendeinen Drogensüchtigen auf deiner Couch schlafen lässt, weil er sonst nirgendwo hin kann. Stillschweigend akzeptiere ich deine Ausraster, wenn irgendeine Laune dich mal wieder erfasst.“

Ich mache eine Pause. In ihren Augen sehe ich einen Widerstreit aus Unverständnis und Verständnis, sehe den inneren Kampf, den sie gerade mit ihren eigenen Überzeugungen führt.
„Also, wenn ich mal deine als Bitten getarnten Erwartungen nicht erfüllen kann, dann sieh es mir nach, so wie ich dir auch so Vieles nachsehe,“ fahre ich fort. Ich bemühe mich, sanft zu klingen. Es gelingt mir nicht.

Sie sieht mich lange an, und langsam wandelt sich ihr Blick zurück in den Verständnislosen. Das Begreifen hatte offenbar nicht gewonnen.

„Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns trennen,“ sagt sie und in ihrer Stimme schwingen Verachtung und Bitterkeit mit.

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