Donnerstag, 23. April 2020

Dunkelste Stunden

Wann ist man ganz unten angekommen? Wann ist der Zeitpunkt, der der Dunkelste in einem Leben sein kann? Himmelhoch jauchzend und im wahrsten Sinne zu Tode betrübt.

Es gab eine Zeit, die ich mit Abstand zu der dunkelsten aller Zeiten zähle. Eine Zeit voller Zweifel, Unsicherheit und Un-Selbstbewusstsein. Eine Zeit, in der es nicht anders möglich gewesen ist, als diesen triefend-schweren Mantel der Depression mit sich herumzutragen. Der Mantel war dabei leider weder optisch ein tolles Kleidungsstück, noch hat er mich warm gehalten. Er zog einfach immer mehr und immer weiter herunter, wurde schwerer und schwerer, dunkler und dunkler.

Der Moment, wenn sich in deinem Kopf alles nur noch um eine Option im noch vorhandenen Leben dreht: die Selbstaufgabe. Die letzte Möglichkeit, um dem lähmenden Griff zu entfliehen. Entkommen, Erlösung, Aufgabe. Wenn man soweit in sich gefangen ist, dass man nichts mehr zu Stande bekommt. Der Moment, wenn Zeit egal ist. Der Moment, wenn man die Augen einfach nur zu machen und nie wieder öffnen möchte. Ganz unten ankommen: emotional und gesellschaftlich betrachtet.

Die Depression ist im Stande, dich komplett aus einem regulären Ablauf und aus gängigen Strukturen herauszureißen. Du veränderst dich, schottest dich ab. Du gehst nicht mehr vor die Türe und dein Körper lässt dich im Stich. Du bekommst Angst. Du schürst deine eigenen Zweifel immer mehr. Irgendwann kämpst du nicht mehr. Irgendwann ergibt das Alles keinen Sinn mehr für dich. Du vergisst, dass dort draußen immer noch Menschen sind, die dich lieben. Menschen, die zu dir stehen und dich auffangen können. Aber du verschließt dich immer mehr. Du erzählst niemandem von den inneren Problemen. Du traust dich nicht zuzugegeben, dass du nicht mehr Leben möchtest. Am liebsten würdest du einfach davon schweben und alles hinter dir lassen.

Du willst nur noch in die friedliche Ruhe eintauchen, die dir der Tod suggeriert. Nichts macht mehr glücklich. Nichts kann dich motivieren, deine Teufelskreise eigenständig zu verlassen. Du weißt ganz genau, etwas stimmt schon lange nicht mehr, aber wirklich eingestehen kannst du es dir nur zum Teil. Einsamkeit, Traurigkeit und Sinnlosigkeit erobern deinen beschränkten Horizont und du liegst nur noch da. Wartest, versuchst zu schlafen, denkst darüber nach, wie du es beenden kannst. Liegst da und versuchst immer wieder die Stimmen in deinem Kopf auszuschalten. Du betäubst dich immer mehr, willst immer weniger mitbekommen. Du manövrierst dich immer mehr selbst in eine Welt, die als dunkelste Aller bezeichnet werden kann.

Die Depression nimmt dir alle deine Grundlagen. Sie nimmt dir jegliche soziale Kompetenz. Sie zieht dir den Boden unter den Füße weg und lässt dich endlos fallen. Fallen ohne aufgefangen zu werden. Fallen in ein nie enden wollendes schwarzes Loch, aus dem es nur noch einen Ausweg zu geben scheint...Flügel werden dir nicht einfach so wachsen. Du wirst nicht einfach so wieder empor fliegen können...

...irgendwann - im Bestfall - schlägst du auf dem teerigen Boden der Realität auf und spürst endlich wieder etwas anderes als Leere! So widrig dieser Boden auch ist, an dem du dich jetzt befindest, es ist das Beste, was dir in dieser Situation passieren konnte. Fange an nach dem Boden zu greifen. Fange wieder an, wahrzunehmen. Fange wieder an, auf die Beine zu gelangen und aufrecht zu stehen. Fange wieder an, deinen Blick schweifen zu lassen. Und fange an, dich zu öffnen. Nimm die ganze Leere und Traurigkeit und erkläre sie deinen Lieben. Fange an, dir einzugestehen, dass du es alleine nicht schaffst. Fange an, wieder zu laufen und lass dir helfen.

Wie gerne du einfach in den Arm genommen werden wolltest, aber es nie jemandem gesagt hast. Wie sehr du die menschliche Nähe vermisst hast, die so unglaublich wichtig ist. Wie sehr du die Leichtigkeit vermisst, die einst gewesen ist.

Aber jetzt ist alles anders. Es liegt ein unfassbar demütiger Weg hinter dir. Und ein sehr sehr Müßiger vor dir. Das Wichtigste: die Erkenntnis, dass du nicht alleine bist. Die Erkenntnis, die mit der Erkenntnis kommt, doch wieder einen Sinn hinter deinem Leben zu erkennen. Nimm das Licht wahr. Sieh nach vorne. Wisse um den harten Aufprall und sei dankbar, dass du dadurch nicht gänzlich zerbrochen bist. Sei dankbar, dass du Familie hast. Sei dankbar, dass du durch die Hölle gegangen bist. Sei stolz, dass du dich geöffnet hast. Sei froh, dass deine Ängste wieder weniger werden und gehe einen neuen, anderen Weg.

Dieser Weg wird dich und dein Sein neu definieren. Er wird dir zeigen, dass das Leben ganz neue Dinge bereit hält. Du wirst die Kleinigkeiten so viel mehr zu schätzen wissen. Du wirst dankbar sein, dass es dir ein Leben lang gut gegangen ist. Du wirst den Weg gehen müssen, so lange er auch dauern mag. Dein Leben wird dich verändert haben, aber das ist gut so. Du lernst wieder dazu. Du reflektierst und merkst, dass du so etwas nie wieder haben willst. Du willst wieder gut und stark und voller Selbstbewusstem sein. Und du wirst mit jedem Schritt wieder leichter. Der Kopf wird freier. Die Wolken lichten sich nach und nach und irgendwann streifst du den dunklen Mantel auf den Schultern ab und fühlst dich, wie neugeboren.

Ein neues Leben wartet. Ein besseres, ein intensiveres, ein schöneres aber auch ein anderes Leben. Nimm es an und mache daraus das, was es für dich sein soll. Du hast den Abrgrund gefühlt, du bist am Boden aufgeschlagen und du bist trotzdem noch da. Vergib dir für alles, was du dir selbst antun wolltest und sei (ganz einfach) einfach wieder glücklich. Wertschätze das Wissen, das du nun hast und nimm diese immense Veränderung und gestalte dein Leben neu. Habe Geduld und Zuversicht. Sei offen und positiv und dir selbst nicht zu schade, über Unzulänglichkeiten zu berichten. Bade nicht mehr im Selbstmitleid, sondern nimm das an, was das Leben dir gibt: nämlich das Leben! Mit allen Facetten und Möglichkeiten. Es ist ein tolles Leben. Es lohnt sich immer. Gib niemals auf, niemals!

Auch wenn es Jahre dauert, wieder Fuß zu fassen, es geht. Es funktioniert. Es ist möglich, aus jedem noch so ausweglosen Teufelskreis, aus jedem noch so tiefen Loch, aus jedem noch so bitteren Selbstgefühl wieder auszubrechen. Alles ist möglich, wenn man merkt, dass der Kopf nicht mehr die Kontrolle über das Selbst hat. Sei dein eigenes Selbst, immer. Mach dich zu dem, was du sein willst.

Ich bin dankbar und froh, diese Zeit hinter mir gelassen zu haben. Ich bin dankbar für diese äußerste Grenzerfahrung. Nun mit genügend Abstand kann ich sagen, ich habe gelernt. Ich habe etwas überstanden, was nie jemand durchmachen sollte. Ich bin gewachsen, ich habe mich verändert. Ich bin ein besserer Mensch geworden und ich habe so viel Liebe in meinem Leben erfahren, die ich mehr als je zuvor zurück geben möchte und kann. Es dauerte Jahre, aber zu wissen, dass man seit zwei Jahren wieder voll im Leben steht, will und sein kann ist die tollste Bestätigung für das Selbst und das Leben an sich.

Lasst euch niemals unterkriegen und gebt euch selbst die Chance, Hilfe annehmen zu können, wenn ihr denkt alleine zu sein. Das seid ihr nicht. Das Leben ist da, wir müssen es einfach nur sehen und annehmen. Das Leben ist so wundervoll, es lohnt sich immer.

Beste Grüße von einem neuen Menschen! 

xo xo

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