Donnerstag, 30. April 2020

Schreib-Challenge #2.2020 (David): Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - wie ähnlich ist man den Eltern, was übernimmt man gerne und was soll mal ganz anders laufen?

 

„Du bist wie dein Vater.“

Innerlich verdrehe ich die Augen und vermeide eine Antwort. Obwohl oder gerade weil ich weiß, dass meine Mutter Recht damit hat.

Einige werden sich nun fragen, warum ein erwachsener Mann diesen Vergleich wie ein sechzehnjähriger Pubertätstrotzki ablehnt. Das ist ganz einfach: als ich etwa 18 war, verließ mein Vater die Familie. Das Vermögen nahm er mit. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.
Auf der Suche nach einer Alliteration, die diesen egoistischen Bummskopf gut beschreibt, kam mir erst „verantwortungsloser Vater“ in den Sinn. Verkackter Vater trifft es aber eher. Oder stinkender Stumpfkopf. Oder hirnverbrannter Heini. Oder ekliger Egomane.
Hach, ich könnte noch Stunden so weiter machen. Fakt ist nämlich leider: warum meine Mutter, meine Schwester und ich teilweise bis heute in der Scheiße sitzen, hat mit seinem Weggang zu tun. Die Gerichtsverhandlung wegen unserer alten Wohnung musste meine Mutter führen und bezahlen. Unsere Tiere mussten wir abgeben. Eine kleinere Wohnung suchen. Ein ganzes Leben in den Ausguss spülen. Und alles nur, weil Mr. Midlifecrisis keinen Bock mehr auf sein gewähltes Lebensmodell hatte. Fun Fact: im Gegensatz zu anderen konnte er sich das wirklich selbst aussuchen.

Und genau deswegen will ich nicht mit dem verglichen werden.

Nicht mal, wenn es nur um Kleinigkeiten geht. Die Art, wie ich rede, wie ich Witze mache, wie ich mich bewege. Fuck off, ich will nicht wie der sein.

Ich gebe es ja zu: wer bei der Familie meines Vaters aufgewachsen ist, konnte wahrscheinlich nur ein Arschloch werden. Als letzte Vertreter der kackigen Kalvinisten waren Geiz („Sparsamkeit“) und Fleiß („Workahollic als Fluchtmöglichkeit vor der Familie“) bei denen Sozialisationstopmodell No. 1. Die Mutter war eine verbitterte alte Frau, deren herunterhängende Mundwinkel von einem Leben kündeten, in dem Freude wahrscheinlich polizeilich verfolgt wurde.
Die Geschwister sind knauserige Geizknochen. Überhaupt ging es in dieser Familie immer nur ums Geld. Und um die Arbeit. Andere Gesprächsthemen kannte man dort nicht. Ich erinnere mich noch, wie wir alle paar Monate diese Familie besuchen mussten. Schön brav am Tisch sitzen, nicht reden, nicht spielen, nicht lachen, nicht freuen, nicht Kind sein.

Ok, eigentlich sollte ich jetzt empathisch nachvollziehen, warum mein Vater so verkorkst ist. Aber es geht nicht.

Ich erinnere mich daran, wie er mir als Kind vemurkste Ansichten von Männlichkeit einzutrichtern versuchte. Männer weinen nicht, Männer sind Handwerker, Männer sind sportlich (der Lauch, haha!), Männer sind nicht krank.

Zum Glück war ich als Kind schon kritisch. Was sicher anstrengend war.
Ich erinnere mich, wie er nicht akzeptieren wollte, dass ich einfach, verfickte Scheiße nochmal, nicht gut in Sport war. Wie ich an einer Stange im Garten Klimmzüge trainieren sollte.
Zum Glück rief immer irgendwann wieder seine Arbeit. Und er verlor das Interesse.
Überhaupt glaube ich, dass es eigentlich ein Segen war, dass der Typ sich die meiste Zeit in seinem Büro verschanzte und sich um nichts kümmerte, als zu arbeiten.

Warum konntest du Penner mir nicht wenigstes etwas dieser Eigenschaft übertragen? Manchmal bin ich so faul, dass ich sogar zum faul sein zu faul bin! Ich will nicht wie du reden, will nicht wie du Witze machen, aber eine gesunde Variante deines Arbeitshabitus, die wäre schon nice gewesen.
Ich zweifle allerdings daran, dass du irgendwas Gesundes in deinem Leben zustande bekommen hast, also sollte ich vermutlich froh sein.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Nur, dass du Lauch kein Stamm warst. Sondern ein sich windender Grashalm, der sich immer zur Seite bog, wenn es schwierig wurde. Der sich immer nur zurückzog, erst an seine Schreibmaschine, später an seinen PC, oder in sein Auto um hierhin und dorthin zu fahren.

Aber vielleicht ist das auch gut so. Vielleicht ist es gut, dass ich nicht vom letzten Kalvinisten der Welt erzogen wurde, dass ich keinen selbstzerstörerischen Leistungshabitus habe, dass Geld für mich nicht alles ist. Wahrscheinlich wäre ich ein klassischer, unreflektierter Vertreter der Generation Y geworden, irgendein Mittelschichtjob, den ich eigentlich hasse, der aber vor der Familie, auf die ich eigentlich keinen Bock habe, die einzige Fluchtmöglichkeit darstellt. Irgendeine absurde Lebenseinstellung dazu, die nichts mit der Realität zu tun hat, stetig alle belehrend, dass mein Bauchgefühl über die Welt auch die Welt sein muss, ja, das wäre ich wahrscheinlich geworden.
Ich hätte niemals Marx gelesen, hätte mich nie für Kant interessiert, wüsste heute nichts über Bourdieu, wäre wahrscheinlich unreflektierter Alltagsrassist und Alltagssexist, würde meine Intelligenz nur bei der Arbeit ausbreiten...

Also muss ich wahrscheinlich „Danke“ sagen. Danke, dass du dich kaum an meiner Erziehung beteiligt hast.

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