Donnerstag, 30. April 2020

Schreib-Challenge #2.2020 (Jenny): Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - wie ähnlich ist man den Eltern, was übernimmt man gerne und was soll mal ganz anders laufen?



Es gibt verschiedene Situationen, in denen die Redewendung „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ gebraucht wird, und so hat sie in den einzelnen Situationen oft völlig verschiedene Bedeutungen. Sie kann sowohl wohlwollend als auch abwertend gemeint sein. Je nachdem, welche Eigenschaft oder welcher Charakterzug des Elternteils gerade angesprochen wird.

Ich gebe euch zwei Beispiele:

1. Die Tochter eines Konzertpianisten hat seine Musikalität “geerbt“ und die Leute sagen
wohlwollend und anerkennend „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“.
2. Der Sohn eines Alkoholikers sitzt jeden Abend betrunken in einer Bar und die Leute sprechen abwertend darüber, dass „der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen“ ist.

Wenn wir weiter darüber nachdenken, stellt sich zwangsläufig die Frage, wovon es eigentlich abhängig ist, welche Eigenschaften und Charakterzüge wir von unseren Eltern übernehmen. Werden die Eigenschaften genetisch vererbt? Spielen sie sich bei uns im Bewusstsein ein, weil wir sie von den Eltern verinnerlichen? Oder haben wir die Möglichkeit, uns bewusst für bzw. gegen die Übernahme bestimmter Charakterzüge/Eigenschaften unserer Eltern zu entscheiden?
Diese Fragen kann man auf verschiedenen Ebenen beleuchten. Sie tangieren sowohl den Bereich der Genetik als auch die Bereiche Philosophie und Psychologie.

In Genetik war ich noch nie gut (Ob ich das von meinen Eltern habe?), aber ich möchte versuchen, die gestellten Fragen auf philosophisch-psychologischer Ebene zu betrachten. Dazu bietet sich an, die negative Assoziation der Redewendung herzunehmen. Ich erzähle euch nun eine kleine Geschichte.


Lia und Dina sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in schwierigen Verhältnissen bei ihrer Mutter auf, nachdem der Vater früh aus ihrem Leben verschwunden ist. Ihre Mutter kümmert sich nicht um die beiden, nimmt regelmäßig harte Drogen vor ihren Kindern oder ist auch mal tagelang nicht zu Hause. Natürlich bekommen Lias und Dinas Mitschüler mit, dass die zwei oft ungepflegt sind. Das nehmen sich einige Mitschüler zum Anlass, die zwei zu mobben. Das geht so lange bis Dina mit 15 ohne Abschluss von der Schule abgeht. Lia beißt sich durch und schafft trotz der Angriffe ihren Abschluss. Während Lia alles daran setzt, für ein Studium zugelassen zu werden, rutscht Dina immer mehr ab. Ohne Schulabschluss und Perspektiven verfällt Dina in eine tiefe Depression. Sie fängt an, Drogen zu nehmen – zuerst nur mal eine Line Koks, später greift sie zu stärkeren Drogen.
Lia versucht neben ihrem Studium alles, um ihrer Schwester aus diesem tiefen Loch raus zu helfen. Sie ermutigt sie zu einem Entzug, doch Dina hält es dort nicht lange aus. Die beiden verlieren sich schließlich aus den Augen. Trotz der ganzen Rückschläge und der Sorge um ihre Schwester, schafft Lia es, ihr Jura-Studium zu beenden.

Ein paar Jahre später geht Lia mit ein paar Anwaltskolleginnen aus, um den Abschluss in einem großen Fall zu feiern. Als sie aus dem Club kommen, fällt Lia eine reglose Gestalt in einer Seitenstraße auf. Sofort geht sie hin, um zu helfen, und findet Dina mit einer Spritze im Arm neben einer Mülltonne liegend. Lia schüttelt ihre Schwester und versucht, sie aufzuwecken. Als Dina zu sich kommt und ihre Schwester erkennt, sagt sie nur „Guck nicht so! Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm, oder?“…

Meiner Meinung nach, gibt es für uns zwei Möglichkeiten. Wir können uns von der Vergangenheit beeinflussen lassen, uns ihr ergeben und auf die einzige Art und Weise leben, die wir gelernt und vorgelebt bekommen haben – so wie Dina.
Oder wir versuchen, uns auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, uns nicht von der Vergangenheit leiten zu lassen, an uns zu arbeiten und unsere eigene Zukunft zu erschaffen – so wie Lia.

Natürlich habe ich das Ganze sehr vereinfacht dargestellt. Die Genetik kann man nie ganz außen vor lassen. Aber ich glaube fest daran, dass es uns möglich ist, unser Leben selbst zu gestalten. Unabhängig davon, was uns unsere Eltern vorgelebt haben. Ich glaube daran, dass ich mich entscheiden kann, welche Eigenschaften meiner Eltern ich übernehmen möchte und welche nicht. Dass ich darüber bestimmen kann, was ich anders oder besser machen möchte und es auch durchziehen kann. Ich hatte nicht so eine schwere Kindheit wie Lia und Dina, aber auch ich habe mein Paket zu tragen, wie sicher die meisten von uns. Ich finde es wichtig, dass man sich verinnerlicht, dass man ein eigenständiger Mensch ist und auch wenn unsere Eltern uns sicherlich prägen, sind wir mehr als ein Apfel, der mehr oder weniger weit vom Stamm gefallen ist.


„Wenn wir uns nur auf Ursachen in der Vergangenheit konzentrieren und versuchen, die Dinge lediglich durch das Prinzip von Ursache und Wirkung zu erklären, landen wir beim «Determinismus». Denn das würde ja bedeuten, dass unsere Gegenwart und unsere Zukunft bereits durch vergangene Ereignisse entschieden wurden und unveränderbar sind.“

(Aus „Du musst nicht von allen gemocht werden: Vom Mut, sich nicht zu verbiegen“, geschrieben von Fumitake Koga und Ichiro Kishimi)

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