Sonntag, 18. November 2018

Rückkehr und Schutz

Ich blickte tief in Ihre großen, dunklen Augen und vernahm das leichte Beben darin. Ein tanzender Kranz, pulsierende Pupillen. Eine einsetzende Verschwommenheit, ein unsicheres Flackern. Sie blickte sich hektisch um, während Nervosität über Ihre feinen Züge huschte. Ich sah die Zweifel, die Ihre Mundwinkel - kaum merkbar - zum Zucken brachten. Immer wenn sie grübelte oder besorgt war, zog sie eine Augenbraue nach oben und feine Falten erschlossen Ihre Stirn. Sie nestelte nervös am Saum der viel zu großen Sweatshirtjacke, blickte mich an und fragte:

"Warum ist das Leben so ungerecht? Nur Enttäuschungen und Betrug. Neid und Eifersucht. Meine Seele ist schon wieder ein bisschen mehr kaputt gegangen, denke ich...das ist doch scheiße!"

"Aber es sind die Menschen, die ungerecht sind, nicht das Leben.", sagte ich. "Du bist toll und wunderbar und voller Herz und Frohsinn. Lasse niemals zu, dass Dir die Menschen das wegnehmen. Nimm das Leben an, dein Leben und sei Du selbst. Dafür brauchst du doch niemand Anderen."

"Ich bin doch immer ich gewesen" resignierte Sie, "...was mache ich denn nur falsch? Alles, was ich will, ist doch nur ein bisschen Liebe, Zuneigung und Geborgenheit. Vertrauen und Leichtigkeit...ganz normale Dinge...aber..."

"...einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen.", fiel mir dazu spontan ein, "Es ist ein Graus mit einem Großteil der Gesellschaft, das wissen wir beide. Und dennoch, gerade deswegen, bewundere ich Dich für deinen Optimismus. Du versuchst es wenigstens immer wieder...auch wenn es mir im Herzen schmerzt, Dich dann so sehen zu müssen. Besonders Du hast diese kalte, oberflächliche Ungerechtigkeit nicht verdient."

"Bin ich deshalb naiv, blöd oder gar bescheuert? Ich habe Zweifel und ich verliere die Kraft. Ich fühle mich gerade wieder so klein..." Sie senkte den Kopf und seufzte.

Ich trat einen Schritt auf sie zu, nahm Ihre, immer noch leicht zitternden Hände, lächelte und sagte: "Ganz im Gegenteil, Sweetheart. Du bist sensibel und denkst einfach viel nach. Blöd wäre es nur, wenn Dich das Alles runterzieht und Du dich ungewollt veränderst..."

"Aber..."

"Kein "Aber" und keine Widerrede...!"

Sie senkte ihren Kopf und ließ die Schultern noch ein wenig mehr sinken als zuvor.
 
"Hey, schau mich an."

Der Blick den sie mir dann entgegenbrachte, war wieder voller Angst und Zweifel. Tanzende Kreise. Unsicheres Flackern.

"Ändere Dich nicht, denn Du bist gut, wie du bist. Vergiss das bitte nicht. Jeder sollte sich eine Scheibe von Dir bzw. deinem Charakter und Wesen abschneiden. Wären mehr Menschen, wie du, wäre die Welt ein gutes Stück besser und definitiv ein besseres Stück guter!"

Sie musste schmunzeln. Dabei wackelte Ihre Nasenspitze für einen kleinen Augenblick. Das tat sie immer, wenn sie schmunzelte. Aber das wusste Sie natürlich.

"...siehst Du, da bist Du ja wieder.", freute ich mich. "Das Lächeln steht Dir eindeutig besser als der Zweifel und die ganzen Runzel auf deiner Stirn! Und Du weißt: wenn du Dich klein fühlst, hebe ich Dich hoch. Wenn Du Kraft brauchst, schenke ich Dir Energie. Wenn Du Schutz benötigst, empfange ich Dich mit offenen Armen und schließe Dich darin ein. Ich halte Dich fest, damit Du nicht verloren gehst."

Die Falten der Sorgen legten sich so langsam. Ein tiefes Durchatmen. Sie schloss die Augen für einen weiteren Moment, öffnete sie wieder, schaute mich an und eine spontane Rührung überkam sie. Eine Mischung aus Erkenntnis, Dankbarkeit und purer Emotion. Jetzt war Sie wieder so echt, wie sie nur sein konnte.

"Lass einfach los, hier bist Du in Sicherheit. Ich verstehe Dich. Ich bin da, wenn Du mich brauchst!"

Es war drei Uhr nachts, kalt und nass. Es war wieder Herbst.

Sie nickte nur kurz zur Bestätigung, schloss dann wieder ihre braunen Augen und umarmte mich. Sie hielt sich fest. Ich schloss meine Arme um Ihre Schultern und hielt sie ebenso fest.
Das leise "Danke", was sie mir entgegen flüsterte, erfüllte mich mit tiefer Emotion, Demut und ebenso Dankbarkeit.

So standen wir dort, umarmten uns und waren einfach für einander da. Auch um drei Uhr Nachts.


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