Donnerstag, 24. Dezember 2020

Schreibchallenge #4.2020 (Alina): Freiheit

 

Mein Beitrag zum Thema "Freiheit"

Alina Ihser

21.12.2020


Es ist Winter 2018, ich stapfe dick eingepackt durch den Schnee. Obwohl es klirrend kalt ist, schwitze ich. Mein Gesicht glüht, Schweißränder bilden sich unter den Achseln und ich keuche. Selbst die paar Meter bis zum Auto bereiten mir große Anstrengung.

Ich fahre Richtung Wald, weil ich einen Moment für mich und meine Gedanken brauche. Auf einer Bank lasse ich mich schwerfällig nieder und hole tief Luft. Einatmen. Ausatmen.

Stumm starre ich auf die kahlen Bäume und die weiße Fläche vor mir, die nur hier und da von grünem Gras durchbrochen wird.

Doch was taucht dort auf? Eine junge Frau, sie sieht aus wie ich, aber anders: Dünner, leichter und mit ein paar Falten mehr.

Verwirrt schaue ich in den Himmel und wieder zurück, aber sie ist noch da und schaut mich mit den, mir so vertrauten, Augen an.

Sie spricht mich an und fragt mich, ob ich mich gefangen fühle. Ob mir die Angst um mein Leben die Kehle zuschnürt und ob ich manchmal ausbrechen möchte.

Verdattert und ertappt blicke ich zu Boden, meine Füße malen Kreise in den Schnee. "Ich, ähm, ich... Ja, schon irgendwie" beginne ich zu stammeln. In mir kriecht die Angst vor dieser Erkenntnis hoch und ich fange an zu zittern, obwohl mir warm ist, ich lache, obwohl ich weinen möchte. Mein Gegenüber nimmt mich in den Arm.

"Bist du meine Zukunft? Bin ich dann nur noch die schlechte Vergangenheit, an die man sich nicht gerne erinnert?" frage ich sie, während mir dicke Tränen die Wange hinab kullern.

Sie blickt mir tief in die Seele und flüstert mir die entscheidenden Worte zu:"Ohne dich, deiner Kraft, deinem Mut und deiner Liebe zu uns kann ich nicht sein. Du hast deinen Job getan, deine Zeit im Licht verbracht, nun hast du es verdient dich zur Ruhe zu setzen. All die Jahre habe ich deine Wohnung im Schatten eingerichtet. Es wird dir dort gefallen, vertraue mir. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass ich ans Licht kann. Du bleibst meine beste Freundin und Ratgeberin. Also lass mich bitte raus in die Freiheit. "

Inzwischen, zwei Jahre später, nach einem steinigen Weg, habe ich es geschafft. Die Freiheit hat mich mit Funken, Glitzer und Liebe begrüßt.

Manchmal begegne ich meinem dicken, keuchenden Ich und begrüße sie wie eine gute alte Freundin, denn sie ist eine der mutigsten Menschen, die ich kenne.



3 Kommentare:

  1. Liebe Alina, ich mochte schon von Anfang an Dein Lächeln und Deine positive Ausstrahlung, ohne dass ich Deinen Weg kannte. Als ich dann Deine Formation gesehen habe, war ich sprachlos und überrascht wie ähnlich unsere Geschichten sind. Ich mag Deine Geschichte sehr, vor allem den Ausgang.

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  2. Dein Text berührt mich sehr. Der Weg, den du gegangen bist war lang und mit Sicherheit auch nicht immer einfach. Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut

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  3. Ich habe größten Respekt vor dem Weg der hinter dir liegt, den du gegangen bist. Eine hervorragende Leistung auf die du zurecht stolz sein kannst. Aber auch wie du deinen Weg hier niederschreibst finde ich sehr gelungen. Es hat mich gegriffen und berührt und solche intimen Einblicke sind immer extrem kostbar und wertvoll. Bin auf weitere Geschichten gespannt. :)

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